Hörschnipsel Band 1 

(Sprecher: Steffen Rössler)

Hörprobe




TEXTSchnipsel aus BAND 1

 

TEXTSCHNIPSEL 1

(...) Er ging auf die Eiche zu, deren knochigen Äste bedrohlich zum dunklen Himmel ragten und betrachtete seine wunderschöne Frau, die sich an einem Seil erhängt und sich das Leben genommen hatte. Ihr blondes langes Haar umspielte ihren Körper, eine stille weiche Flut, die sie wie ein stummer Schleier umschloss. Er schrie auf, ein wilder und animalischer Schrei voller Verzweiflung und Wut. Er griff nach ihr, zerrte an ihrem Leinenkleid, bis es zerriss. Der Körper baumelte hin und her und die plötzliche Nacktheit seiner Frau zu sehen, machte ihn wahnsinnig. „Zurück mit dir! Zurück mit dir!“, schrie er irre und schrill, bevor er sein Schwert packte und mit einem Schlag das Seil durchtrennte, an welchem sich Morgane aufgehängt hatte. Ihr Körper fiel schwer zu Boden. Bleich lag sie vor ihm, ein heller Traum inmitten der Dunkelheit. Ihre Sehnsucht nach Freiheit und Liebe hatte sie für immer verstummen lassen und er konnte nichts anderes zu tun, als sie ziehen zu lassen. Sie hatte die Freiheit gesucht und den stillen und bleichen Tod gefunden. Sein Gewissen wog schwer, als er sich neben sie kauerte und ihr die Kerze in das Gesicht leuchtete. (...)

TEXTSCHNIPSEL 2
(...)
Inmitten all des Blutes, des faulig-süßlich riechendem Fruchtwassers, des Erbrochenen seiner Frau erhielt Charles de Blois einen Einblick in den Anbeginn allen Lebens. Nach all den Schlachten, die er geschlagen hatte, all den Menschen, denen er mit seinem Schwert das Herz durchbohrt oder den Kopf abgehackt hatte, nach all dem Leid, den toten Körpern und verwesenden Gliedern auf den Schlachtfeldern, spürte er nun eine tiefe, verloren geglaubte Wärme und Dankbarkeit in sich, als die alte Heilerin ihm seinen Neugeborenen in die Arme legte. Hilflos und überwältigt betrachtete er seinen Sohn, blickte zum ersten Mal in dessen tiefblaue Augen und sein Wunsch, dieses Wesen vor all dem Übel dieser Welt zu schützen, ließ ihm den Atem stocken. (...)

TEXTSCHNIPSEL 3

(...)Die Luft schwirrte. Eine bedrohliche Stille hatte sich über das Land gelegt und der Geruch von Blut, Schweiß und verderbendem Fleisch lag wie ein dunkler Teppich über dem Feld.
Dunkle Augen beobachteten schweigend die Umgebung. Der Morgen war gerade angebrochen und Sir Thomas Dagworth hatte die Gunst der Nacht genutzt, um eines der vier Lager Charles de Blois anzugreifen. Die Soldaten, die den Aufruf bekommen hatten, ihre Lager nicht zu verlassen, um den berüchtigten Langbogenschützen Dagworths, die sich in der Stadt La Roche-Derrien verschanzt hatten, zu entgehen, waren durch das hinzugerufene Heer der Engländer mitten in der Nacht überrascht worden und der Angriff hatte deutliche Spuren hinterlassen, denn die schlaftrunkenen Soldaten hatten kaum genug Zeit, zu ihren Schwertern zu greifen, bevor die wilde Horde der Engländer mit erhobenen Waffen und hoch zu Ross ihre Zelte niederrissen. (...)

TEXTSCHNIPSEL 4

(...)„Wenn das mal nicht die Herzogin ist, die mitten in der Schlacht das Weite gesucht hat!“
Ein niederträchtiges Grinsen huschte über das Gesicht eines der Engländer, der größte von allen und augenscheinlich der Anführer. Mit grausamer Langsamkeit zog er sein Schwert und deutete damit auf Halfdan.
„Ihr Nordmänner habt mit unserem Kampf nichts zu tun! Übergebt uns die Herzogin und die Hexe und wir geben euch ein Boot, mit dem ihr von hier verschwinden könnt!“ Seine Stimme klang heiser und seine Gesicht glänzte rot, ganz so, als hätte er einige Becher zu viel Wein geleert und in den letzten Nächten zu wenig Schlaf gefunden.
Halfdan verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen.
„Schwingt hier keine großen Reden!“, rief er und spuckte auf den Boden, bevor er sein Schwert zog.
„Kämpft!“ (...)

TEXTSCHNIPSEL 5

(...) Halfdans Augenlider zuckten nervös, als er darauf wartete, dass der finale Stoß des Henkers ihn in den Tod stürzen würde. Angestrengt blickte er zu der Stelle, an welcher er den verhüllten Mann entdeckt hatte, den er für Odin, den Allvater selbst gehalten hatte, doch er war verschwunden. Die Angst schnürte ihm nun die Kehle zu und sein Magen fühlte sich schwer wie ein Klumpen Lehm an. Eine säuerliche Flüssigkeit stieg ihm in die Kehle und füllte seinen Mund. Mühsam zwang er sich, es wieder hinunterzuschlucken, denn die Blöße, sich vor all diesen Menschen zu ergeben, würde er sich nicht geben. Worauf wartete der Kerl noch? Halfdan zerrte an den Fesseln, die seine Hände hinter seinem Rücken gebunden hielten, doch es war vergebens, denn die Stricke waren zu fest. Gerade hatte er noch genug Mut in sich gehabt, stolzen Hauptes in den Tod zu gehen, doch jetzt spürte er, wie die Furcht sich in seinem Inneren wie ein undurchdringbares Spinnennetz ausweitete, in all seine Körperteile kroch und mit einem beißenden Gift lähmte. Er konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal von solcher Angst erfüllt gewesen war, doch nun konnte er es nicht mehr leugnen: er fürchtete den Tod. (...)